Dr. Erich Klausener
Der Mord an Dr. Erich Klausener - Ein dramatisches Kapitel aus der Geschichte der Pfarrgemeinde St. Matthias während der Zeit des Nationalsozialismus
Albert Coppenrath (1883-1960) war, wie alle bisherigen Pfarrer von St. Matthias, ein Priester aus der Diözese Münster, ein typisch kantiger Westfale und ein leidenschaftlicher Gegner des Nationalsozialismus. Er hat der Pfarrgemeinde am Winterfeldtplatz als direkter Nachfolger des 2005 seliggesprochenen Clemens August Graf von Galen von 1929 bis 1947 vorgestanden. Von 1941 allerdings aus der Ferne, da die Nazis ihn der Reichshauptstadt verwiesen hatten.
Glied der St. Matthias-Gemeinde von 1924 an war neben vielen anderen auch Dr. Erich Klausener. 1885 in Düsseldorf geboren, arbeitete der Jurist in Berlin zunächst im preußischen Wohlfahrtsministerium, bevor ihm 1926 die Leitung der Polizeiabteilung des Innenministeriums übertragen wurde. Schon in dieser Funktion machte Klausener sich die Nazis zu Feinden, sodass er unmittelbar nach deren „Machtergreifung“ 1933 ins Reichsverkehrsministerium (straf-) versetzt wurde. Insbesondere aber als führender Vertreter des deutschen Politischen Katholizismus, der sich bereits seit 1928 gegen die antikirchliche Politik Hitlers gewandt hatte, war der Beamte den NS-Machthabern verhasst. Noch in einer großen Rede auf dem 32. Märkischen Katholikentag am 24. Juni 1934 in Hoppegarten kritisierte er öffentlich die Kirchenpolitik der Regierung und die Ausgrenzung von weltanschaulichen Kontrahenten. Wohl als direkte Folge dieser vielbeachteten Ansprache wurde Klausener sechs Tage später, am 30. Juni 1934 auf Befehl des Gestapo-Leiters Reinhard Heydrich von SS-Leuten in seinem Dienstzimmer ermordet.
Pfarrer Albert Coppenrath beschrieb in späteren Erinnerungen einige der damaligen Geschehnisse, die auch ein dramatisches Kapitel in der Geschichte der Pfarrei St. Matthias sind. Nachfolgend Auszüge aus seinen Notizen:
+ + +
Ministerialdirektor Dr. Erich Klausener, der hochverdiente Vorsitzende der Katholischen Aktion im Bistum Berlin, war Mitglied meiner Pfarrgemeinde und meines Kirchenvorstandes. Da er im Reichsverkehrsministerium tätig war, hatte ich ihn in der letzten Juniwoche 1934 gefragt, ob er uns nicht zur beschleunigten Lieferung eines ausgedienten Eisenbahnwagens
für unsere soeben erworbene Jugend-Erholungsstätte im Walde bei Lichtenrade verhelfen könne; der Wagen solle bis zur Errichtung eines Hauses als Schutzraum bei schlechtem Wetter dienen; da die Sommerferien unmittelbar bevorständen und da sich bereits viele Kinder für die dort geplante Ferienerholung gemeldet hätten, sei höchste Eile geboten. Am Sonnabend, 30. Juni, gegen 12 Uhr mittags, teilte Klausener mir fernmündlich mit, der Wagen werde am 3. Juli an Ort und Stelle sein. Hocherfreut dankte ich ihm für seine Bemühungen.
1½ Stunden später rief mich der Staatssekretär Koenigs aus demselben Ministerium an und bat mich im Auftrage des Verkehrsministers, Eltz von Rübenach, Frau Klausener zu benachrichtigen, dass ihr Mann soeben tödlich verunglückt sei. Auf meine Frage, wie Klausener denn verunglückt sei, antwortete er, Näheres könne er mir am Apparat nicht sagen. Ich bestand darauf, da ich doch Frau Klausener nicht einfach sagen könne, ihr Mann sei tot. Antwort: „Ich kann Ihnen nur sagen, dass Klausener erschossen in seinem Dienstzimmer liegt. Ob Selbstmord vorliegt oder was sonst, wissen wir nicht." Ich protestierte energisch gegen „Selbstmord" und, da mir blitzartig die Erleuchtung kam, dass es sich um eine politische Sache handele, fügte ich erregt hinzu: „Diesen Schwindel wird niemand glauben, der Klausener gekannt hat!"
Eine halbe Stunde später fuhr ich mit Frau Klausener, die ich inzwischen in ihrer Wohnung aufgesucht und benachrichtigt hatte, zum Verkehrsministerium, Wilhelmstraße 80. Unterwegs an allen Straßenecken Polizei-Doppelposten! Im Ministerium, vor Klauseners Dienstzimmer zwei SS-Leute mit Stahlhelm und Karabiner! Der Bürodirektor des Ministeriums, der uns im Flur begegnete und Frau Klausener seine Teilnahme aussprach, erwiderte auf ihre Bemerkung, sie wolle die Leiche sehen: „Unmöglich! Die beiden Posten dort haben strenge Weisung, niemanden hineinzulassen und unter Umständen von der Schusswaffe Gebrauch zu machen. Auch der Herr Minister selbst hat keinen Zutritt bekommen." Er führte uns dann in das Dienstzimmer des Ministers, Eltz von Rübenach, der uns bereits erwartete. Der Minister berichtete, gegen 1 Uhr hätten sich ein Beamter des Geh. Staatspolizeiamtes und ein SS-Hauptsturmführer beim Hauspförtner nach dem Büro Klauseners erkundigt, da sie ihn verhaften müssten. Kurz nachdem sie dessen Büro betreten hätten, sei ein Schuss gefallen, die beiden seien wieder herausgekommen und hätten zwei SS-Leute vor dem Zimmer postiert. Dem herbeieilenden Ministerialrat, der den Schuss gehört habe, hätten sie erklärt: „Klausener ist tot." Auf die Bemerkung des Ministerialrats, es müsse doch ein Arzt zugezogen werden, hätten sie geantwortet: „Das ist nicht nötig; er ist einwandfrei tot!" Als er darauf bestanden habe, hätten sie gesagt: „Wir werden einen Arzt schicken!“ Auf seine Aufforderung, dem Minister Bericht zu erstatten, hätten sie erwidert: „Wir haben keine Zeit. Wir haben noch mehr zu tun!" Der Minister berichtete dann weiter, er habe sofort alle möglichen Stellen angerufen, um Aufklärung zu erhalten, zunächst das Geh. Staatspolizeiamt, das jede Auskunft verweigert habe; dann das Propagandaministerium, wo man erklärt habe, man wisse von nichts. Dann habe er der Reihe nach alle Ministerkollegen angerufen, aber nur Innenminister Frick erreicht; der habe gesagt, er wisse auch nicht, was los sei, er wisse nur, dass noch verschiedene andere Leute tot seien, z. B. General von Schleicher, Stabschef der SA Röhm usw. Eltz versprach Frau Klausener, sich um baldige Freigabe der Leiche zu bemühen.
Abends berichtete Staatssekretär Koenigs Frau Klausener, er habe mit dem Minister vor dem gegen 17 Uhr erfolgten Abtransport der Leiche das Dienstzimmer Klauseners betreten dürfen, um die in den Kleidern des Toten befindlichen Wertsachen in Empfang zu nehmen. Klausener habe auf der Brust gelegen, die Einschussstelle sei deutlich sichtbar am Hinterkopf neben dem rechten Ohr!
Tags darauf, am Sonntag, 1. Juli 1934, verlas ich folgende Kanzelvermeldung:
„Ministerialdirektor Klausener, der Vorsitzende der Katholischen Aktion im Bistum Berlin, ist gestern plötzlich aus diesem Leben abberufen worden. Er liebte seine Kirche und sein Vaterland mit jeder Faser seines Herzens und bewies diese Liebe durch Wort und Tat, mit dem ganzen Einsatz seiner starken Persönlichkeit, bis zum letzten Augenblick seines Lebens. Noch am vorigen Sonntag hat er in seinem Schlusswort beim Märkischen Katholikentag in Hoppegarten seiner glühenden Liebe zu Kirche und Vaterland beredten Ausdruck verliehen. Sein Tod bedeutet auch für unsere Pfarrgemeinde der der Verstorbene seit 1925 angehörte, und in deren Kirchenvorstand er seit drei Jahren eifrig mitarbeitete, einen schweren Verlust. Noch gestern, kaum eine Stunde vor seinem Tode, sprach er fernmündlich mit dem Pfarrer über unsere neugeschaffene Jugend-Erholungsstätte, für die er sich besonders interessierte. Über den Zeitpunkt der Beerdigung kann einstweilen noch nichts mitgeteilt werden. Wir wollen nicht vergessen, dieses mutigen, um die katholische Sache hochverdienten Mannes, der so jäh aus diesem Leben geschieden ist, in dankbarem Gebete zu gedenken."
Am 2. Juli erhielten alle Beamten usw. des Reichsverkehrsministeriums folgende Mitteilung: „Der Reichsverkehrsminister. Berlin, den 2. Juli 1934. An alle Beamten, Angestellten und Arbeiter im Hause — je besonders. Der Ministerialdirektor Dr. Klausener sollte am 30. Juni in seinem Dienstzimmer verhaftet werden. Nach den amtlichen Aussagen der mit der Verhaftung beauftragten Personen, eines Beamten des Geheimen Staatspolizeiamtes und eines SS-Hauptsturmführers, hat er sich der Verhaftung dadurch entzogen, dass er sich selbst getötet hat. — Nach den amtlichen Feststellungen hat Klausener zu dem Kreis um General von Schleicher Beziehungen unterhalten und an den Bestrebungen dieses Kreises mitgearbeitet. Der Kreis um Schleicher stand wiederum, in Beziehungen zu dem Kreis um den früheren Stabschef Röhm und zu anderen Kreisen. Das Ziel aller dieser Kreise war der Umsturz der bestehenden Staatsgewalt, der dann, wie bekannt, durch den persönlichen Zugriff des Führers verhindert wurde. Frhr. von Eltz."
Am 3. Juli schrieb der Minister an Frau Klausener: „Bei meinen Versuchen, die Freigabe der Leiche Ihres Gatten zu erwirken, ist mir heute durch die Geheime Staatspolizei mitgeteilt worden, dass die irdischen Überreste des Verstorbenen eingeäschert worden seien, nachdem vorher einwandfrei der Freitod festgestellt worden sei. Die Geheime Staatspolizei wird auf Ihren Antrag die Asche des Verstorbenen freigeben. — Es ist mir ein Schmerz, Ihnen diese für Sie erschütternde Mitteilung machen zu müssen. In tiefer Anteilnahme Ihr sehr ergebener Frhr. von Eltz."
Am 5. Juli konnte Rechtsanwalt Dr. Bruno Klausener (Düsseldorf), der Bruder des Verstorbenen, die Aschenreste bei einer eigens für die Opfer des 30. Juni eingerichteten Urnen-Ausgabestelle in Empfang nehmen, nachdem er stundenlang Schlange gestanden hatte. Laut Verabredung brachte er die Urne zum Pfarrhaus und von dort in meiner Begleitung in die würdig geschmückte Taufkapelle der Pfarrkirche. Die Beisetzung auf unserem Matthias-Friedhof erfolgte am Sonnabend, 7. Juli. Da der Zeitpunkt auf Anordnung der Geh. Staatspolizei geheim gehalten werden musste, nahmen außer den nächsten Angehörigen nur der Bischof, Dr. Nikolaus Bares, das gesamte Domkapitel und die Pfarrgeistlichkeit von St. Matthias daran teil.
Am Tage nach der Beisetzung, Sonntag, 8. Juli, verlas ich in allen sechs Morgengottesdiensten folgende Kanzelvermeldung:
„Für den am 30. Juni ums Leben gekommenen Ministerialdirektor Dr. Erich Klausener ist morgen, um 9 Uhr, feierliches Seelenamt von Seiten unseres Kirchenvorstandes. Der Kirchenvorstand ist stolz darauf, dass dieser kernkatholische und kerndeutsche Mann zu seinen Mitgliedern gehört hat. Der Dank für seine buchstäblich bis zur letzten Stunde seines Lebens bewiesene zielbewusste und tatkräftige Mitarbeit im Kirchenvorstande begleitet den Verstorbenen in die Ewigkeit. - Dem inzwischen aufgetauchten Gerücht, der Verstorbene sei an staatsfeindlichen Bestrebungen beteiligt gewesen und habe, als er verhaftet wurde, selbst Hand an sich gelegt, wird niemand Glauben schenken, der diesen tiefreligiösen Mann gekannt hat. Der ´Osservatore Romano`, das Organ des Vatikans, sagt zu diesem Gerücht, es sei zu töricht, um einer Widerlegung zu bedürfen, und er fügt hinzu: ´Die Worte, die der Verstorbene am 24. Juni beim Katholikentag in Hoppegarten gesprochen hat, werden in den Herzen der deutschen Jugend haften bleiben als Beweis einer außergewöhnlichen Religiosität, eines glühenden Eifers und einer vorbildlichen Liebe zu Kirche und Vaterland.` — In Beantwortung zahlloser Anfragen wegen der Beerdigung sei mitgeteilt, dass die Leiche des Verstorbenen - verbrannt worden ist. Selbstverständlich ist die Verbrennung ohne Wissen der Angehörigen erfolgt, da ja die katholische Kirche die Leichenverbrennung wegen ihrer christentumsfeindlichen Tendenz streng verbietet. Die Aschenreste sind gestern Mittag, 11.30 Uhr, in Gegenwart der Familienangehörigen, des hochwürdigsten Herrn Bischof, des gesamten Domkapitels und der Pfarrgeistlichkeit von St. Matthias in aller Stille auf unserem Friedhof beigesetzt worden, nach einem unmittelbar vorausgegangenen feierlichen Requiem in der Friedhofskapelle."
Angesichts der in jenen Tagen herrschenden Anspannung war ich mir klar darüber, dass diese Kanzelvermeldung, zu der ich mich als Pfarrer des Verstorbenen verpflichtet fühlte, nicht ungefährlich für mich war. Daher hatte ich am Vorabend noch einmal mein Testament revidiert. Da ich die Vermeldung unbedingt in allen sechs Messen durchführen wollte, pendelte ich, um einer vorzeitigen Verhaftung nach Möglichkeit vorzubeugen, am Sonntagmorgen von 6-12 Uhr zwischen Altar, Kanzel und Beichtstuhl hin und her. Dabei leitete mich der Gedanke, dass die Geh. Staatspolizei es vermutlich scheuen werde, mich in der Kirche, vor aller Öffentlichkeit, zu verhaften. Als ich nach der letzten Vermeidung die Sakristei betrat, berichtete mir der Kirchenschweizer, Paul Juhr, drei Herren, die unter dem Turm gestanden und den Wortlaut mitgeschrieben hätten, seien sofort nach der Vermeidung hinausgegangen. „Offenbar" seien es Gestapobeamte, die mich wahrscheinlich jetzt in meiner Wohnung verhaften wollten. Er werde mich deswegen begleiten. Erst als er mir versprochen hatte, dass er keine „Dummheiten" machen wolle, nahm ich seine Begleitung an, um für alle Fälle einen Zeugen zu haben. Im Pfarrhaus angekommen, öffnete ich, nicht ohne eine gewisse Spannung, die Tür des Empfangszimmers. Das Zimmer war leer. Aber um meinen wackeren Begleiter scherzhaft zu täuschen oder vielmehr um ihn zu prüfen, sagte ich: „Heil Hitler!" und richtig: wie aus der Pistole geschossen, sauste der ehemalige Unteroffizier und Weltkriegsteilnehmer an mir vorüber in das Zimmer hinein. Offenbar wollte er also doch „Dummheiten“ machen. Ich las ihm daher gründlich die Leviten und machte ihm klar, dass er, als Familienvater, vorsichtiger sein müsse. Übrigens war es mir während der sechsmaligen Verlesung nicht entgangen, dass manche Kirchenbesucher mitschrieben. Darum wunderte ich mich nicht, als der Wortlaut nachher in allen möglichen ausländischen Zeitungen, auch im „Osservatore Romano", zu lesen war, obwohl ich alle Journalisten, die den Wortlaut der Vermeldung oder sonstige Auskünfte über den Fall Klausener erbaten, ausnahmslos abgewiesen und an die Geh. Staatspolizei verwiesen hatte. Das Grab Klauseners war an diesem Sonntag und auch weiterhin das Ziel ungezählter Besucher von nah und fern.
Das im Auftrage des Bischöflichen Ordinariats im Germania-Verlag herausgegebene ,,Katholische Kirchenblatt für das Bistum Berlin" sollte am 15. Juli 1934 als Sondernummer für Klausener erscheinen. Als der Vertrauensrat des Germania-Verlags das erfuhr, forderte er den Schriftleiter, Domvikar Adolph, auf, die Klausener betreffenden Bilder und Artikel zurückzuziehen, andernfalls müsse er die Polizei benachrichtigen. Das Bischöfliche Ordinariat erklärte jedoch: Entweder erscheint das Kirchenblatt am 15. Juli als Klausener-Nummer oder es erscheint überhaupt nicht. Darauf erstattete der Vertrauensrat Anzeige bei der Polizei.
Am Donnerstag, 12. Juli, teilte der Germania-Verlag dem Schriftleiter mit, die Gestapo habe die Beschlagnahme der vorgesehenen Nummer ausgesprochen, falls die Artikel über Klausener nicht fortfielen. Das Ordinariat blieb bei seiner Entscheidung, dass dann am kommenden Sonntag überhaupt kein Kirchenblatt erscheinen werde. Wider alles Erwarten traf am Abend des gleichen Tages die Nachricht ein, dass die Beschlagnahme aufgehoben sei. So erschien denn Nr. 28 vom 15. Juli 1934 wirklich als Klausener-Sondernummer. Die erste Seite zeigte ein schwarz umrandetes Brustbild Klauseners, die zweite Seite brachte einen Bericht über das in der bischöflichen Hauskapelle gefeierte Requiem mit Ansprache des Bischofs und über die Beisetzung der Aschenreste auf dem St.-Matthias-Friedhof. Es folgten ein warmer Nachruf des Bischofs und zwei längere, vortreffliche Artikel, die Klauseners Persönlichkeit und Verdienste würdigten und ihn in zwei Bildern vom Katholikentag am 24. Juni zeigten. Diese Nummer wurde in ganz Deutschland verbreitet. In unserer Pfarrkirche allein wurden rund 5000 Exemplare abgesetzt, 2000 mehr als sonst.
Am 21. Juli schrieb Frau Klausener folgenden Brief an Hitler: „Sehr geehrter Herr Reichskanzler! Drei Wochen sind nun vergangen seit dem 30. Juni, an dem mir mein geliebter Mann, Ministerialdirektor Dr. Erich Klausener, durch den Tod genommen wurde. Schlimmer aber noch als die Kugel, die mir, mein ganzes Lebensglück zerstörte, traf mich die Nachricht von einem amtlichen Rundschreiben, das meinen Mann einen Selbstmörder nennt und seine Beziehungen zu einem Kreis um Herrn von Schleicher feststellt. Nach einer 20jährigen, beispiellos glücklichen Ehe, die auf dem festen Fundament treuester Kameradschaft ruhte, drängt es mich, Ihnen, Herr Reichskanzler, so kurz mir möglich, die Persönlichkeit meines Mannes zu schildern, so wie sie wirklich war. Mein Mann ist kein Selbstmörder. Seine Kriegspistole nahm ihm die amerikanische Besatzung. Seit dieser Zeit - 1918 - hat er keine Pistole mehr besessen. Bei dem rückhaltlosen Vertrauen, das wir uns gegenseitig schenkten, bei der gegenseitigen Aufgeschlossenheit in jeder Lebenslage, ernster und froher, hätte ich unbedingt gewusst, wenn er sich zu seinem persönlichen Schutz eine Waffe angeschafft oder eine solche besessen hätte. Er hat nie an seinen Schutz gedacht, weder als Landrat im Ruhrgebiet während der Spartakisten- und Besatzungszeit, noch hier in Berlin. Mein Mann hat keinen Selbstmord begangen, denn er war ein treu katholischer Christ im Herzen und durch die Tat. Aus seiner Weltanschauung heraus wäre er nie auf diesen Gedanken gekommen. Mein Mann hat aber auch seiner Verhaftung am 30. Juni ganz sicher keinen Widerstand entgegengesetzt... Der tote geliebte Mann schweigt und kann sich nicht mehr verteidigen, aber die überlebende Frau steht für ihn ein, für seinen Namen, für seine Ehre...“
Am 5. September 1934 wurde ich, auf Grund einer Anzeige, wegen meiner Kanzelvermeldung vom 8. Juli vernommen. Die äußerst „anregend" verlaufene Vernehmung hatte den Erfolg, dass ich am 9. September folgende Kanzelvermeldung verlas: „Am 8. Juli hat der Pfarrer in allen hl. Messen eine Kanzelvermeldung über ein Seelenamt für den am 30. Juni ums Leben gekommenen Ministerialdirektor Klausener, Mitglied unseres Kirchenvorstandes, über die Verbrennung seiner Leiche und über die auf unserem Friedhof im Beisein unseres Bischofs und des gesamten Domkapitels erfolgte Beisetzung der Aschenreste verlesen und hat hinzugefügt, dem Gerücht, dass Klausener an staatsfeindlichen Bestrebungen beteiligt gewesen sei und sich selbst das Leben genommen habe, werde niemand Glauben schenken, der diesen treukatholischen und kerndeutschen Mann gekannt habe; auch der ´Osservatore Romano`, das Organ des Vatikans, habe dieses Gerücht als so unsinnig bezeichnet, dass es keiner Widerlegung bedürfe. — Ein Volksgenosse, angeblich ein Katholik, hat den Pfarrer wegen dieser Kanzelvermeldung zur Anzeige gebracht. Der Pfarrer ist deswegen am Mittwoch von der Geh. Staatspolizei vernommen worden. Er hat bei dieser Gelegenheit den genauen Wortlaut der betr. Kanzelvermeldung überreicht, um zu beweisen, dass der Denunziant, im Gegensatz zu den Pharisäern des heutigen Evangeliums, von denen es heißt: ´Sie gaben genau acht`, nicht genau achtgegeben hatte. — Ferner hatte jener angebliche Katholik der Geh. Staatspolizei auch noch mitgeteilt, der Pfarrer habe am selben Tage die Epistel verlesen: „Hütet euch vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber reißende Wölfe sind; an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen...“ Hierzu konnte der Pfarrer der Geh. Staatspolizei folgende Aufklärung geben: Die angeführten Worte, die übrigens nicht einer Epistel, sondern dem Evangelium des hl. Matthäus entnommen sind, sind am 8. Juli, wie in jedem Jahr am 7. Sonntag nach Pfingsten, in allen katholischen Kirchen der ganzen Welt verlesen worden. Damit erledigt sich von selbst die der Anzeige offensichtlich zugrunde liegende Annahme, der Pfarrer habe dieses Evangelium eigens ausgewählt, um auf die Ereignisse des 30. Juni anzuspielen. - Es wird bei dieser Gelegenheit daran erinnert, dass wortgetreue, pfarramtlich beglaubigte Abschriften unserer Kanzelvermeldungen in der Küsterei zu haben sind. Die heutige Kanzelvermeldung kostet 75 Pf. Der Erlös ist für unsere Armenpflege.“
Am 16. September feierte die Pfarrfamilie St. Matthias die kirchliche Einweihung ihrer Jugend-Erholungsstätte im Walde bei Lichtenrade. Tausende nahmen an dieser Feier teil. Nach Beendigung der Weihe, bei der ich eine kurze Predigt gehalten hatte, legte ich die kirchlichen Gewänder ab und hielt noch eine weitere, durch viele zustimmende Zwischenrufe unterbrochene Ansprache, in der ich u. a. folgendes sagte: „Wir danken zunächst in stiller Wehmut dem uns allen so teuren Ministerialdirektor Klausener, der uns den Eisenbahnwagen für unseren Platz besorgt hat und der kaum eine Stunde vor seinem Tode sich noch mit mir fernmündlich über unsere Erholungsstätte unterhalten hat, für die er sich so lebhaft interessierte. Ganz aus sich heraus hat dann unsere Jugend, die ihre Sommerferien hier verbracht hat, dieser Stätte die Bezeichnung „Erich-Klausener-Platz“ gegeben. Mit aufrichtiger Freude habe ich diese Bezeichnung aufgegriffen und proklamiere sie hiermit feierlich vor aller Öffentlichkeit… Wir benennen diese Stätte nach einem Manne, dessen Parole stets und immerdar gelautet hat: Alles für Deutschland - Deutschland für Christus! - Wir wollen diesem vortrefflichen Manne jetzt einen dankbaren Gruß in die Ewigkeit nachsenden, indem wir seiner eine kurze Weile in stillem Gebete gedenken… Herr, gib ihm die ewige Ruhe… Lass ihn ruhen in Frieden. Amen.“
Manche Teilnehmer äußerten nachträglich, sie hätten befürchtet, die bei der Feier zweifellos vertretene Gestapo werde mich vom Platz weg verhaften. Auch ich hatte mit dieser Möglichkeit gerechnet, glaubte aber, dennoch Fraktur reden zu müssen, da ich darin die einzige Möglichkeit sah, den Stein ins Rollen zu bringen, deutlicher gesagt: eine gerichtliche Klärung des Falles Klausener und damit eine öffentliche Ehrenrettung Klauseners herbeizuführen. Die Gestapo beschränkte sich darauf, mich wegen der Benennung „Erich-Klausener-Platz“ und wegen meiner Rede zu vernehmen! Eine Bestätigung, meiner Vermutung.
Seit Dezember 1934 regte ich bei Bischof Dr. Nikolaus Bares eine Bistumskollekte für ein Klausener-Grabmal an. Der Bischof begrüßte diese Anregung und beauftragte mich, einen entsprechenden Aufruf zu verfassen. Dieser Aufruf wurde auf Anordnung des Bischöflichen Ordinariats am Sonntag, 10. Februar 1935, in allen Kirchen des Bistums Berlin verlesen: „In wenigen Monaten jährt sich zum ersten Male der Tag, an dem der hochverdiente Vorsitzende der Katholischen Aktion im Bistum Berlin, Ministerialdirektor Dr. Erich Klausener, plötzlich aus diesem Leben abberufen worden ist. 4 ½ Jahre lang hat der Verewigte mit ganzer Hingabe dem Werke der Kath. Aktion gedient… Als edelsten Dank nimmt der Verstorbene von uns das Weiterführen seines Werkes entgegen. Uns aber drängt die dankbare Liebe, auch an seinem Grabe ein Zeichen nie verlöschenden Gedenkens zu errichten. An der Stelle, wo seine irdischen Überreste ruhen, soll sich demnächst die noch fehlende erste Kreuzwegstation des St.-Matthias-Friedhofes erheben, als würdige und sinnige Ehrung für diesen Mann, der seinem Herrn und Meister Jesus Christus mit der ganzen Hingabe seiner starken Persönlichkeit gedient hat bis zum letzten Atemzuge. Wie sein Werk und Opfer uns allen galt, so soll unser aller Gabe ihm dieses Grabmal errichten. An alle Katholiken unseres Bistums ergeht darum die herzliche Bitte, beizutragen zu der Sammlung, die für diesen Zweck heute nach dem Gottesdienste an den Kirchentüren stattfindet. Auch die Pfarrgeistlichen nehmen Gaben hierfür gern entgegen." Da für den 10. Februar bereits eine andere Bistumskollekte angeordnet war, wurde die Grabmal-Kollekte erst nach dem Gottesdienste an den Kirchtüren gehalten. Dennoch erbrachte sie die verhältnismäßig hohe Summe von 4836 RM (in unserer Pfarrkirche allein 622 RM).
Am 16. Februar 1935 schrieb der Staatssekretär und Chef der Reichskanzlei, Dr. Heinrich Lammers, an den Bischof: „Ew. Bischöfliche Gnaden beehre ich mich, davon in Kenntnis zu setzen, dass hier bekannt geworden ist, dass im Bistum Berlin zur Geldsammlung für ein Denkmal für den Ministerialdirektor Dr. Klausener aufgefordert wird… Im Auftrage des Führers und Reichskanzlers darf ich Ew. Bischöflichen Gnaden nicht verhehlen, dass — die Richtigkeit der mir gewordenen Nachrichten vorausgesetzt – die Durchführung eines derartigen Planes eine ungeheure Erregung in der Öffentlichkeit hervorrufen müsste. Bei dieser Sachlage, darf ich auftragsgemäß Ew. Bischöflichen Gnaden anheimstellen, zu erwägen, ob es sich nicht empfiehlt, die angeblichen Pläne über die Errichtung eines Denkmals nicht zu verwirklichen."
Auf Grund dieses Schreibens ließ mir der Bischof am 23. Februar 1935 einen Brief zustellen, worin er u. a. schrieb: „Um schwere Komplikationen zu verhindern, muss ich Sie dringend bitten, vorläufig keine weiteren Sammlungen für das Grabmal Klauseners zu veranstalten. Der Plan muss bis zur völligen Klärung der Angelegenheit sistiert werden..." Um diese Klärung herbeizuführen, wollte sich der Bischof noch einmal in einer ausführlichen Eingabe an den Führer wenden. Er starb aber bereits am 1. März 1935.
Nachdem die Geh. Staatspolizei mich schon am 5. September 1934 wegen meiner Kanzelvermeldung vom 8. Juli betr. Klausener und am 14. März 1935 wegen des Pfarrberichtes über das Jahr 1934 vernommen hatte, folgte am 12. April 1935 eine weitere, mehr als zweistündige Vernehmung in Sachen Klausener. Diese Vernehmung war ursprünglich schon auf den 7. Januar anberaumt gewesen, wurde dann aber auf den 30. Januar und schließlich auf den 12. April verschoben. Gegenstand der Vernehmung: 1. Die Benennung unserer Walderholungsstätte als „Erich-Klausener-Platz“ und meine bei der Einweihung gehaltene, der Gestapo in Wortlaut vorliegende Ansprache; 2. mein der Gestapo ebenfalls vorliegender Pfarrbericht über das Jahr 1934, besonders die darin erwähnte Erschießung Klauseners; 3. die Kollekte für das Klausener-Ehrenmal. Ich betonte, dass ich es nach wie vor als meine Pflicht ansähe, bei jeder sich bietenden Gelegenheit für Klauseners Ehre einzutreten.
Ungefragt erklärte ich auch, dass ich selber die Grabmalkollekte angeregt und den diesbezüglichen Aufruf verfasst hätte. Der vernehmende Beamte quittierte diese Mitteilung mit den Worten: „Genau, wie wir es uns gedacht haben!" Ich hatte damit gerechnet, gleich an Ort und Stelle verhaftet zu werden, und hatte deswegen vorsorglich die notwendigen „Gefängnisutensilien" in meiner Aktentasche mitgebracht. Da ich nicht verhaftet wurde, nahm ich an, man wolle mir den Prozess machen. Dass auch dieses nicht geschah - trotz meiner unmissverständlichen Rede bei der Einweihung des Erich-Klausener-Platzes und obwohl ich im Pfarrbericht von dem am 30. Juni erschossenen Katholikenführer gesprochen hatte, bewies mir aufs Neue, wie sehr man eine gerichtliche Klärung der Angelegenheit scheute.
Erst etwa drei Wochen nach meiner Vernehmung vom 12. April 1935 hörte ich, dass die Geh. Staatspolizei bereits am 27. Februar einen Betrag von 10 000 RM vom Postscheckkonto der Bistumskasse beschlagnahmt hatte. Auch das Bischöfliche Ordinariat erfuhr das erst im April, als das Postscheckamt einen Überweisungsauftrag der Bistumskasse mit dem Vermerk „Konto durch die Geh. Staatspolizei beschlagnahmt" zurücksandte. Auf die Bitte des Ordinariats um Aufklärung antwortete die Geheime Staatspolizei am 3. Mai 1935, die Beschlagnahme sei erfolgt, da der dringende Verdacht bestehe, dass Gelder etwa in dieser Höhe, die aus einer gesetzlich unzulässigen Sammlung stammten, auf das genannte Konto eingezahlt worden seien. Die Beschwerde des Ordinariats gegen diese Maßnahme blieb unbeantwortet.
Von 1934 bis zu meiner Ausweisung aus Berlin im Jahre 1941 wurde der Fall Klausener alljährlich wenigstens zweimal in Erinnerung gebracht. Jeweils am Sonntag vor dem 30. Juni verkündigten wir ein feierliches Jahrgedächtnis für den Verstorbenen. Im Jahre 1935 z. B. in folgender Form: „Für den am 30. Juni des vorigen Jahres auf so tragische Weise ums Leben gekommenen Katholikenführer, Ministerialdirektor Klausener, ist morgen um 8 Uhr feierliches Jahrgedächtnis, und zwar nach liturgischer Vorschrift - wegen des Festes vom Kostbaren Blute - nicht in schwarzem, sondern in rotem Messgewand. Gegenüber umlaufenden Gerüchten wird darauf hingewiesen, dass unser Friedhof heute nicht geschlossen, sondern bis heute Abend 8 Uhr geöffnet ist." Das Grab Klauseners war an diesem Tage das Ziel ungezählter Wallfahrer. Auch die Beteiligung an dem Seelenamt war außerordentlich stark. Die zweite Kommemorierung wiederholte sich alljährlich bei der auf unserem St.-Matthias-Friedhof üblichen Allerseelenfeier (am Sonntag nach Allerseelen), die regelmäßig eine große Menge von Gläubigen, auch aus anderen Pfarreien, anzieht und bei der nach einer Predigt im Freien der „Kreuzweg" gebetet wird. Die Teilnehmer haben dabei einen eigens für diese Feier gedruckten Text in Händen. Bei der ersten Kreuzwegstation (am Grabe Klauseners) ergänzte ich die im Heft stehende Überschrift „Jesus wird zum Tode verurteilt"
seit 1934 regelmäßig durch die Worte „Pilatus wäscht seine Hände in Unschuld!". Wer den Zusammenhang nicht sofort begriff, dem wurde er sicher klar, wenn ich nach dem Stationsgebet fortfuhr: „Wir gedenken an dieser Stelle besonders des am 30. Juni 1934 auf so tragische Weise ums Leben gekommenen Katholikenführers, Ministerialdirektor Dr. Klausener, dessen Asche hier beigesetzt ist. Das Grabmal, das die Katholische Aktion im Bistum Berlin ihrem hochverdienten Vorsitzenden an dieser Stelle in Gestalt der ersten Kreuzwegstation errichten - wird, konnte bislang noch nicht errichtet werden, weil die Geh. Staatspolizei die für diesen Zweck in allen Kirchen unseres Bistums gehaltene Kollekte im Betrage von rund 5000 RM und darüber hinaus noch weitere 5000 RM beschlagnahmt und bislang noch nicht wieder freigegeben hat."
Die Klausener-Kollekte brachte mir [insgesamt] drei Vernehmungen ein: Am 12. April 1935, am 3. Februar 1936 und am 7. April 1936. Bei der letzten Vernehmung erklärte mir der betreffende Beamte, dass in dieser Angelegenheit ein Verfahren gegen mich schwebe. Er zeigte mir ein umfangreiches Aktenbündel, in dem alle bis dahin über mich aufgenommenen Protokolle enthalten seien. Dann bemerkte er, er habe keineswegs die Absicht, mich zur Strecke zu bringen, ich solle daher jedes Wort gut überlegen. Da ich das auffasste, als wolle er mir nahelegen, die Schuld von mir abzuwälzen, erklärte ich: „Da brauche ich nicht lange zu überlegen. Denn ich denke nicht im Traum daran, mich der Verantwortung zu entziehen." Er erwiderte: „Davon sind wir hier alle überzeugt, und gerade darum machte ich diese Bemerkung, also in Ihrem Interesse." Selbstverständlich blieb ich bei meiner bisherigen Haltung und betonte mit Nachdruck, dass ich nach wie vor jede Gelegenheit benutzen würde, für die Ehre Klauseners einzutreten; ich würde mir als erbärmlicher Feigling vorkommen, wenn ich das nicht täte. Der Beamte erwähnte, meine Behauptung im Pfarrbericht, dass nicht nur der Ertrag der in allen Kirchen des Bistums Berlin gehaltenen Grabmalkollekte beschlagnahmt worden sei, sondern darüber hinaus noch weitere 5000 RM, habe Anlass gegeben, den Sachverhalt nachzuprüfen. Er selbst habe eingehende Nachforschungen beim Postscheckamt und bei der Kasse des Bischöflichen Ordinariats vorgenommen. Dabei habe er erstens festgestellt, dass die Buchführung der Bistumskasse ganz hervorragend in Ordnung sei, so dass sich manche öffentliche Kasse ein Beispiel daran nehmen könne; zweitens habe er festgestellt, dass meine Behauptung zutreffend sei. Die zu viel beschlagnahmten 5000 Reichsmark würden daher an die Bistumskasse zurückgezahlt werden. Auf seine Frage, ob das Grabmal auch nach endgültiger Einziehung des Kollektenertrages dennoch errichtet würde, erwiderte ich: „Selbstverständlich, wenigstens soweit es von mir abhängt! Ich besitze allerdings keine 5000 RM, aber seit der Beschlagnahme der Kollekte spiele ich in der Lotterie, und an dem Tage, wo ich 5000 RM gewinne, gebe ich das Grabmal in Auftrag.“ Der Beamte quittierte diese Bemerkung mit einem fröhlichen Schmunzeln, bat mich aber in meinem Interesse so dringend, von der Protokollierung dieser Bemerkung Abstand nehmen zu dürfen, dass ich seiner Bitte nicht widerstehen konnte.
Am 30. September 1937 — also mehr als 2 ½ Jahre nach der Kollekte! — beantragte der Generalstaatsanwalt, das Hauptverfahren zu eröffnen und die Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Berlin (Einzelrichter) stattfinden zu lassen. Die Anklage richtete sich 1. gegen mich, weil ich nach eigenem Geständnis die Sammlung angeregt und den betreffenden Aufruf verfasst hätte; 2. gegen den Generalvikar Dr. Steinmann, weil er den Aufruf an die Pfarrämter versandt habe. „Nach Lage der Sache unterliegt es keinem Zweifel, dass mit der Sammlung ausschließlich politische Zwecke verfolgt wurden. Darauf deutet nicht nur die Tatsache, dass sie in Verbindung mit dem Namen Klausener durchgeführt wurde, sondern vor allem der Umstand, dass Pfarrer Coppenrath des öfteren in Kanzelreden oder aus ähnlichen Anlässen den Namen Klausener in der unverkennbaren Absicht erwähnt hat, hiermit die Erinnerung an die Vorfälle des 30. Juni 1934 bei der Bevölkerung wach zu halten."
Am 4. Juli 1938 teilte das Amtsgericht mit: 1. Das Strafverfahren gegen den Angeklagten Dr. Steinmann wird für erledigt erklärt, da Dr. Steinmann am 8. November 1937 verstorben ist. 2. Das Verfahren gegen den Angeklagten Coppenrath wird gemäß § 2 des Straffreiheitsgesetzes vom 30. April 1938 auf Kosten der Reichskasse eingestellt. Begründung: Tat begangen vor dem 1. Mai 1938. Coppenrath hat aus politischen Gründen gehandelt. Eine Freiheitsstrafe von mehr als 6 Monaten ist nicht zu erwarten." Dafür hatte man also weit mehr als drei Jahre gebraucht! (Die Kollekte war am 10. Februar 1935.) Offensichtlich war die Durchführung des Verfahrens gewissen Kreisen „aus Politischen Gründen" nicht erwünscht. Mit Schreiben vom 12. Juli 1938 erhob ich „mit Nachdruck Widerspruch“ gegen die Begründung des Amtsgerichts („aus politischen Gründen gehandelt") und erklärte, dass ich bei Durchführung des Verfahrens hätte freigesprochen werden müssen.
Nachdem das Strafverfahren gegen mich in Sachen Grabmalkollekte eingestellt worden war, beantragte der Generalstaatsanwalt am 9. Aug. 1938 bei dem Amtsgericht Berlin, auf Einziehung des Kollektenertrages zu erkennen. Das Amtsgericht bestätigte daraufhin durch Beschluss vom 14. Oktober 1938 die von der Geh. Staatspolizei ausgeführte Beschlagnahme. Das Bischöfliche Ordinariat legte gegen diesen Beschluss am 25. Oktober 1938 Beschwerde ein… Am 6. Februar 1940 erkannte die 10. Strafkammer des Landgerichts Berlin für Recht: „Die Berufung des Bischöflichen Ordinariats gegen das am 2. August 1939 verkündete Urteil des Amtsgerichts Berlin wird auf Kosten des Einziehungsinteressenten (Ordinariat) verworfen.“
+ + +
Am 22. September 1946 brachte das „Petrusblatt", Kirchenblatt für das Bistum Berlin, folgenden Sonderbericht aus Nürnberg:
„Im Laufe des Verfahrens gegen die Kriegsverbrecher hat der amerikanische Anklagevertreter Dr. Kempner auch die erforderlichen Untersuchungen unternommen, um die Ermordung des ehemaligen Leiters der Katholischen Aktion im Bistum Berlin, Ministerialdirektor Dr. Erich Klausener aufzuklären. Nach diesen Untersuchungen steht es nunmehr fest, dass Kl. am 30. Juni 1934 von dem SD und von der Gestapo umgebracht worden ist, weil er eine Woche vorher auf dem 32. Märkischen Katholikentag vor einer sechzigtausendköpfigen Menge ein offenes Bekenntnis zum Programm der Katholischen Aktion abgelegt hatte. Auf diesem Katholikentag in Hoppegarten befanden sich zahlreiche Spitzel der Gestapo und des Sicherheitsdienstes, die von Himmler, Heydrich und dein Gestapogeneral Meisinger dorthin gesandt waren. Auf Grund der erhaltenen Berichte schlug die Gestapo und der SD vor, K. in die Mordaktion des 30. Juni einzubeziehen, obwohl er weder mit der Umgebung von Röhm noch mit irgendwelchen anderen Personen, die Opfer des 30. Juni wurden, das Geringste zu tun hatte. Die politische Verantwortung für die Mordtat liegt besonders bei Hermann Göring, da dieser die Ermordungen in Berlin leitete. Die Ermordung selbst fand in Dr. Klauseners Amtszimmer im Reichsverkehrsministeriums statt. Dem inzwischen verstorbenen Reichsverkehrsminister Baron Eltz von Rübenach und dem Staatssekretär Koenigs wurde amtlich mitgeteilt, dass K. selbst Hand an sich gelegt habe… Beide waren so verschüchtert, dass sie in einem Zirkular an die Beamten des Ministeriums die ihnen mitgeteilte Selbstmordversion aufrechterhielten… Noch heute ist es nicht geklärt, welche Rolle der Gerichtsmediziner Prof. Dr. Müller-Heß bei der Beurkundung der Todesursache gespielt hat. Die Fahndung nach den Personen, die die mörderischen Schüsse gegen Dr. K. abgegeben haben, ist im Gange, damit die Mörder den deutschen Gerichten zur Aburteilung übergeben werden können.“