Hirtenwort „Kathedrale der Hoffnung“

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Hirtenwort „Kathedrale der Hoffnung“

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Wie oft habe ich dieses Wort in den letzten Wochen vor der heutigen Wiedereröffnung der Sankt Hedwigs-Kathedrale gedacht, gewünscht, ausgesprochen, gefragt, gebetet: Hoffentlich schaffen wir das!

Hoffentlich haben wir bald wieder eine offene katholische Kirche im Herzen von Berlin! Hoffentlich wird die neu renovierte Kathedrale die Menschen ansprechen!

Hoffentlich wird sie ein würdiger Ort der Liturgie, der Verkündigung und des Miteinanders sein!

Hoffentlich werden sich hier in einem offenen und herzlichen Geist Christen, Menschen anderer Religionen und Menschen ohne religiöse Beziehung in aller Offenheit begegnen und von- und miteinander lernen.

Hoffentlich wird diese Kirche für viele Menschen in ihren verschiedenen Lebenssituationen eine Heimat werden!

Hoffentlich gefällt diese Kirche dem lieben Gott!

Hoffentlich! Hoffentlich! Hoffentlich!

Es vergeht wohl kaum ein Tag, an dem die meisten Menschen das Wort »hoffentlich« nicht aussprechen, denken oder empfinden: »Hoffentlich fährt der Zug! Hoffentlich schaffe ich die Verabredung!« Oft sind es aber auch schwere, das ganze Leben prägende Hoffnungen, die wir in unseren Herzen tragen oder ins Wort bringen: »Hoffentlich verläuft die Operation gut! Hoffentlich finden wir in unserer Gesellschaft Versöhnung! Hoffentlich finden die Kriege in der Ukraine und in Israel, im Gazastreifen und im Libanon bald ein Ende!«

In dem Wort »hoffentlich« klingt nicht selten die Sorge, ja oft die Angst mit, dass das Erhoffte nicht Wirklichkeit wird und sich zerschlägt.

Zugleich werden Erfahrungen enttäuschter Hoffnungen und Erinnerungen an dadurch verursachte Verletzungen im Leben wach.

Die Gestaltung der Sankt Hedwigs-Kathedrale greift solche dunklen Erfahrungen vieler Menschen auf:

So schließt etwa die neapolitanische Krippe in der Krypta in ihrer Darstellung der Geburt Christi die Armut und das Drama der Flucht so vieler Menschen mit ein. Entlang des Kreuzwegs in der Krypta, der den Leidensweg vieler Menschen aufgreift, befindet sich die Kapelle, in der auch die Schuld der Kirche im Laufe ihrer 2000-jährigen Geschichte und das von ihr verursachte Leid ihren Ausdruck finden. Zudem wird unsere jüngere Geschichte in Deutschland aufgegriffen, in der wir versagt haben und gegen die Verletzung der Menschenwürde nicht genügend angegangen sind. Die Pietà zeigt – menschlich betrachtet – den Tiefpunkt im Leben Jesu. In dieser hoffnungslosen und für die meisten Menschen trostlosen Situation hält Maria ihren vom Kreuz abgenommenen toten Sohn auf ihrem Schoß. Im Hintergrund der Anbetungskapelle in der Krypta befindet sich ferner ein Kunstwerk, das aus vielen Sargkreuzen besteht.

Doch es gibt Lebenshoffnungen, die unser ganzes Leben auch in seinen dunklen Seiten umschließen, deren Erfüllung aber von uns nicht zu machen ist und die weit über das uns Verfügbare hinausgehen. Sie umfassen auch unsere unerfüllten Hoffnungen in der Zuversicht, dass sie in einer uns einst eröffneten Zukunft ihre Erfüllung finden, wenn auch viel- leicht nicht in der Weise, in der wir es gedacht hätten. Solch eine grundlegende Lebenshoffnung, die auf eine sinnerfüllte, alles umfassende gute Zukunft baut, wird uns geschenkt, sie ist nicht von uns produzierbar. Sie ist eine Gabe. Wir Christen sagen: Sie ist Gnade, gute Gabe Gottes.

Eine solche Zukunft ist eschatologisch, auf die Ewigkeit hin ausgerichtet, sie ist auf Erlösung aus. Den Zugang zu ihr öffnet das menschliche Vertrauen. Als Christen glauben wir an den guten Gott, der unser Leben und unsere Geschichte und die Zukunft der Welt in seinen Händen hält und uns die Erlösung in Jesus Christus geschenkt hat. Wir glauben an Gott, der das Leben der Menschen in die Erfüllung führt, der den Himmel aufgerissen hat und uns eine heile, sinnvolle und erfüllende Zukunft schenkt, die uns miteinander leben lässt und unser Leben zur Entfaltung führt. »Unsere Heimat ist im Himmel!« (Phil 3,20) schreibt Paulus der Gemeinde in Philippi ins Stammbuch.

Die Strahlkraft dieser Verheißung erfahren wir oft umso mehr, je tiefer die Hoffnungslosigkeit und das Dunkel, in dem wir stehen, in und um uns herrscht. Im Römerbrief schreibt Paulus: »Abraham hat geglaubt auf Hoffnung, wo nichts zu hoffen war« (Röm 4,18 in der Übersetzung der zweiten kirchenamtlichen Revision der Lutherbibel von 1912). Solche Hoffnung ist letztlich ein Sich-Verstehen auf Gott und seine unermessliche Größe und Weite hin. Es ist das Vertrauen auf den Gott, der »denen, die Gott lieben, alles zum Guten gereicht« (Röm 8,28). Der so Hoffende entscheidet sich bewusst dafür, sich und seine Zukunft zuversichtlich Gott anzuvertrauen, auch in aller Unsicherheit und in allem Zweifel.

Die Krypta von Sankt Hedwig bleibt deshalb bei den dunklen Erfahrungen der Menschen nicht stehen, sondern zeigt sich als ein Ort der Hoffnung. So zeugen das Grab des Seligen Bernhard Lichtenbergs und die Gräber der Bischöfe von der Auferstehungshoffnung, die uns erfüllt. Orte der Hoffnungen sind auch die Beichtkapellen als Orte der Vergebung aller Schuld, der Versöhnung und des Neuanfangs.

Als Christen sind wir auf den Tod und die Auferstehung Jesu Christi getauft. Die Taufe ist das grundlegende Band, das Christinnen und Christen weltweit verbindet. Daher befindet sich in der Mitte der Krypta das Taufbecken, wo die Taufe mit lebendigem Wasser empfangen wird. Daneben werden die Heiligen Öle in Gefäßen aufbewahrt. Mit diesen Ölen werden die Christen gesalbt, um ihnen den Beistand Gottes zuzusagen und Kraft und Stärkung für ihren Lebensweg zu schenken.

Genau über dem Taufbecken aber befindet sich das Herzstück der Sankt Hedwigs-Kathedrale, ihr Mittelpunkt und ihr Zentrum: der Altar. Hier feiern wir in der Eucharistie die Vergegenwärtigung des Todes und der Auferstehung Christi im Hier und Heute. Das Leben und die Liebe Gottes ist das letzte Wort der Geschichte, das letzte, unser Leben heilendes und erfüllendes Wort, nicht der Tod. Über dem Altar öffnet das Opaion in der Kuppel den Blick in den Himmel, auf die alle Grenzen überschreitende Weite Gottes. Die Kuppel versinnbildlicht die Liebe Gottes, die uns Heilung und Erlösung schenkt und in der wir alle gebor gen sind und bleiben, wie die individuell gestalteten und ganz einmaligen Felder der Kuppel.

Auch die Fenster der Kathedrale erzählen von der Erlösung in Jesus Christus und dem sich daraus ergebenden Glauben und der Hoffnung, dass wir nicht allein durch die Welt gehen müssen. Sie zeigen den Sternenhimmel zum Zeitpunkt Null dieser Weltgeschichte, an dem Gott Mensch wurde und uns die Erlösung erwirkte. Dies ist der Zeitpunkt der Weltgeschichte, an dem das Tor der Hoffnung auf eine gute Zukunft mit Gott geöffnet wurde.

Dies ist auch der tiefste Sinn des Christkönigsfestes, das wir heute am Tag der Wiedereröffnung der Sankt Hedwigs-Kathedrale feiern. Als Papst Pius XI. vor fast genau einhundert Jahren dieses Fest weltkirchlich einführte, wollte er auf Christus weisen, den König, der schon im Neuen Testament an vielen Stellen als der Kyrios bezeichnet wird. »Er allein ist der Heilige, er allein der Herr, er allein der Höchste: Jesus Christus«, so bekennen wir im Gloriagesang der Heiligen Messe und greifen damit das vorgegangene Kyrie auf, das »Herr, erbarme Dich«. Christus ist der Herr der Welt und der Geschichte, jetzt und in alle Zukunft.

Die neugestaltete Architektur der Sankt Hedwigs-Kathedrale nimmt dieses Bekenntnis zu Christus auf, dem Heiland, der Erfüllung und Vollendung unseres Lebens und unserer Zukunft: Die Mitte der Kathedrale ist der Altar als Zeichen für Christus, für sein Leben, Leiden, Sterben und Auferstehen. Um ihn versammelt sich die Kirche und gibt ihm in der Liturgie die Ehre. Um ihn versammelt sich die Gemeinschaft der Gläubigen mit dem Bischof, dessen Kathedra als Zeichen seiner Aufgabe und seiner Amtsvollmacht, seine Diözese zu leiten und zu lehren, in dieses Rund der Gläubigen um den Altar eingefügt ist.

Christus ist der, der alles zusammenhält und umschließt. Die Kuppel, die diese Kathedrale umfängt, bildet mit dem Altar eine Einheit als Zeichen für Gott: In ihm sind wir umfasst und geborgen. In ihm wird auch die Geschichte der Menschheit geheilt und vollendet. Das ist unsere Hoffnung, daran glauben wir.

Angesichts dieser Verheißung und dieser Hoffnung versteht sich die Sankt Hedwigs-Kathedrale als eine herzliche Einladung an alle Menschen: an die, die an Gott glauben, und an die, die ihre Lebensorientierung ohne Gott leben. Weit offen stehen die großen und einladenden Tore der Kathedrale und vor allem unsere Herzen für alle Menschen – darauf hoffe ich und darum bitte ich.

Doch wie können wir erfahren, dass Gott wirklich mit uns geht, dass er mitten im Dunkeln unseres Lebens bei uns bleibt und wir mit ihm auf dem Weg in eine gute Zukunft sind? Die Antwort auf diese Frage möchte ich mit der Patronin dieser Kirche, der heiligen Hedwig, geben:

1174 wurde sie in Bayern in Andechs geboren und starb 1243 in Trebnitz bei Breslau. Sie prägte ihre Gesellschaft kulturell, ihr Einsatz galt aber vor allem den Armen und den Notleidenden. Ihr familiäres Leben war von großem Leid und Schmerz geprägt: Sechs ihrer sieben Kinder starben in jungen Jahren, ihr Mann wurde 1237 exkommuniziert, ihre Schwester erlag einem Mordanschlag, ihr letzter Sohn fand den Tod in der Schlacht von Liegnitz im Kampf gegen die anstürmenden Mongolen 1241.

In diesem so schweren Leben lernte sie in ihren zahlreichen Herausforderungen zu kämpfen und nicht aufzugeben, herausgefordert und gestärkt in ihrem tiefen Glauben.

Lass dich auf Christus ein, lebe mit Christus, gehe mit ihm deinen Lebensweg voller Vertrauen und voller Hoffnung und baue auf seine Verheißungen! Das ist ihre Botschaft an uns. Am Ende dieser Eröffnungswoche werden wir den Advent begrüßen. Das Wort »Advent« – Ankunft – ist verwandt mit dem englischen Wort »adventure«. Nur wer sich auf das Abenteuer mit Gott in seinem Leben einlässt, nur wer mit Gott zu leben wagt, wird seine Ankunft, seine Nähe in seinem Leben erfahren. Lebe auf diese Hoffnung hin auf eine Zukunft, in der Gott alles vollenden wird!

Wie gut, wie segensreich wäre es, wenn nicht nur dieses Kirchengebäude, sondern alle, die in ihm beten und Gott hier die Ehre geben, in Tat und Wort, in Stil und Engagement Zeichen und Werkzeug dieser Hoffnung werden in dieser unserer Zeit, in dieser unserer Gesellschaft, für diese unsere Mitmenschen und für diese unsere Kirche. Darin müssen wir uns stärken und stützen. Diese Hoffnung müssen wir für alle Menschen wirkungsvoll und herzlich leben, um sie müssen wir wie der Name der heiligen Hedwig – »die Kämpferin« – es schon ausdrückt, kämpfen. Deshalb bekennen wir auch in jeder Feier der Eucharistie nach der Wandlung: »Deinen Tod, o Herr, verkünden wir und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit«. Amen, ja Amen!

Herzlich willkommen in Sankt Hedwig!

Dr. Heiner Koch, Erzbischof von Berlin

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